Freitag, 28. September 2007

Der Steuermann



„Bin ich nicht Steuermann?“ rief ich. „Du?“ fragte ein dunkler hochgewachsener Mann und strich mit der Hand über die Augen, als verscheuche er einen Traum. Ich war am Steuer gestanden in der dunklen Nacht, die schwachbrennende Laterne über meinem Kopf, und nun war dieser Mann gekommen und wollte mich beiseite schieben. Und da ich nicht wich, setzte er mir den Fuß auf die Brust und trat mich langsam nieder, während ich noch immer an den Stäben des Steuerrades hing und es beim Niederfallen ganz herumriss. Da aber fasste es der Mann, brachte es in Ordnung, mich aber stieß er weg. Doch ich besann mich bald, lief zu der Luke, die in den Mannschaftsraum führte, und rief: „Mannschaft! Kameraden! Kommt schnell! Ein Fremder hat mich vom Steuer vertrieben!“ Langsam kamen sie, stiegen auf aus der Schiffstreppe, schwankende müde mächtige Gestalten. „Bin ich nicht der Steuermann?“ fragte ich. Sie nickten, aber Blicke hatten sie nur für den Fremden, im Halbkreis standen sie um ihn herum, und als er befehlend sagte: „Stört mich nicht“, sammelten sie sich, nickten mir zu und zogen wieder die Schiffstreppe hinab. Was ist das für Volk! Denken sie auch, oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde?

--> Franz Kafka




6 Kommentare:

  1. #krass, krass...

    ...ich wusste gar nicht, was ich verpasst habe, als wie in deutsch beschlossen, kafka einfach wegzulassen, weil das eh niemals prüfungsthema im grundkurs werden würde... (ätsch, verarscht! -.-)

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  2. findest du das so krass? die message ist doch eher standard ... oder versteh ich das bloß nicht richtig? nur der letzte satz gefällt mir^^ ... [nicht, weil der inhalt so kreativ ist, sondern einfach vom ausdruck her]

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  3. #standart? was ist bei dir standart?

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  4. na gut ... "standard" klingt irgendwie blöd. ich fand's halt bloß nicht so besonders, weil es das ist, was man immer in der schule erzählt kriegt ...

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  5. #ich hab's nicht erzählt gekriegt...

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  6. Post Nr. 100 und keiner hat's gemerkt ...

    Naja, wo's mir auch aufgefallen ist, lass ich dann auch mal meinen Senf liegen: Irgendwie erinnert mich der Text auch an das letzte Mal als ich Kafka gelesen habe (Die Verwandlung), in etwa:

    "Das Leben ist scheiße, man kann nix dagegen tun, und an sich ist das alles völlig bedeutungslos und egal."

    Und ich frag mich wieder: Was will Kafka mir/uns/irgendjemand mit dieser Feststellung näherbringen? Eigentlich nix, irgendwie, meine ich (um mal den Kram beiseite zu lassen, der laut Deutschunterricht angeblich Kafkas Aussage sein soll)

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